Der Multi-Therapeut, 1981
„Du siehst schlecht aus“ rief ein Freund, den ich traf.
„Ach, mir geht so viel im Kopf herum,
ich denk’ und grüble ständig.“ Und er warnte mich:
„Cogito ergo dumm –
ich denke – also spinn’ ich! Solchen Konflikt zu lösen
schafft man alleine nie!
Geh’ doch zu Alfred Varus
in Multi-Therapie!“
Ich ging hin. Die psycho-dynamische
Assistentin fragte nur:
„Welche Farbe hat Ihre Bettwäsche? Und
hängen Sie noch an der Nabelschnur?
Geboren wann? Aha, 11. Oktober,
da stand Jupiter im dritten Haus!
Und Venus schaute in den Mond!
Das sieht nicht gut aus!“
Mit Warteliste achtzig ging ich ins Wartezimmer,
und sie machte mir noch prophylaktisch klar,
dass dies schon Beginn einer Gruppentherapie,
und somit gebührenpflichtig war!
Drinnen erzählte gerad’ ein Mann, dass er ein Zwilling
mit Persönlichkeitsspaltung sei –
und solche sind hier gern gesehn,
denn die zahlen für zwei…
Eine Opernsängerin mit dem Backsteinsyndrom rief:
„Ach, es ist vertrackt,
wenn ich „Aida“ singe, möchte ich mich einmauern lassen
schon im ersten Akt!“
Da erschien der Meister, Typ römischer Legionär
mit Teutoburger-Wald-Gesicht,
und rief: „Erare psychum est!
Durch Nacht zum Licht!“
Das ist alles nicht so schlimm,
denn das kriegen wir schon hin
mit dem Encounter-Modell,
nonsens- und psychopotentiell.
Und wenn die erste Therapie
noch nichts nützt, dann geben Sie
mir für die zweite einen Scheck –
und bald ist alles weg!
Nun, uns’re Eiszeit-Urfisch-Therapie
mit der Leitfossilien-Stimulans
zerbrach ja neulich am ödipalen Umkehrsyndrom
der Neandertaler-Dominanz.
Versuchen wir`s heut’ also mit der West-Coast-Methode“,
so sprach er feierlich.
„sie kam eben aus meinem Fernschreiber
frisch auf den Tisch.“
Mit dem Schlachtruf: „Auf in den Trieb!“ lockerte er
uns’re blockierte Energie, und schon
begann ein gruppendynamisches Umarmen mit
themenzentrierter Interaktion.
Ich dachte noch: Was würde meine Oma dazu sagen?
Da rief Herr Varus schon ärgerlich:
„Schwester, sei nicht so pingelig
mit deinem Über-Ich!“
Für Kollektivimprovisation nicht geeignet,
kam ich in Einzeltherapie,
nach dem Motto: Machen wir’s der Graugans nach!
Und ich flatterte wie noch nie!
Er sprach: „An die Rumpelkammer Ihrer Psyche müssen wir
erst mal mit dem Staubtuch ’ran!“
Und meine
Stäubchen-Neurose begann…
„Kleiner Test noch vorweg: Sie mögen wohl auch
keine Fliegen auf Ihrem Butterbrot, wie?
Ein kulturanthropologisches Konfliktsymptom!
Typische Insektenphobie!
Diese müssen wir bekämpfen mit dem
„Tapferen-Schneiderlein-Desensibilisierungs-Phänomen“,
und das heißt:
Über sieben Mücken musst du gehn!
Das ist alles nicht so schlimm,
denn das kriegen wir schon hin
mit dem „Wisch- und Weg-Modell“,
clean und proper, leicht und schnell!
Und wenn die zweite Therapie
noch nichts nützt, dann geben Sie
mir für die dritte einen Scheck –
und bald ist alles weg!
Und wenn diese noch nicht hilft, versuchen wir es mal mit
dem „Domino-Steinchen-Prinzip“.
Das heißt, wir bauen eine Reihe von Neurosen auf,
wo jede neue die alte umkippt.
Diesen psycho-gymnastischen Circulus vitiosus
unterbrechen wir erst, wenn
Sie den Denkprozess gefährlicher Gedanken
nicht mehr zu Ende denken könn’n.“
Dann gingen wir in den Psycho-Keller.
Da lagen Gummischnuller, Laufställchen und Teddybären.
Er sprach: „Erinnern Sie sich an Ihren Ur-Schmerz!
Der Fluch der bösen Tat muss Böses gebären…
Brüllen Sie sich die Seele aus der Kehle!“
Und kaum fing ich an zu schrei’n,
zersprang’n im Keller nebenan
die besten Flaschen Wein.
„Ihr Problem in ein konstruktives Geräusch umwandeln
zu woll’n, war leider Utopie.
Als letzte Möglichkeit seh’ ich nur noch
die Reinkarnationstherapie:
Wir löschen die Aura Ihrer Person!“
Dabei muss seine Seele auch gewandert sein…,
denn er rief ihr noch „Quo vadis? nach,
und ich schlief ein…
Als ich erwachte, fühlte ich mich teutonenschwer,
und ich hatte einen Psycho-Kater.
Ein Hauch von Resignation zog über die Couch,
und ich grollte meinem Über-Vater.
Der murmelte, wohl noch in Trance: „Augustus, das hab’ ich nicht
gewollt!“ und „Armin, streck’ mich nicht nieder!“
Erleuchtet rief ich: „Varus,
gib mir meine Moneten wieder!“
Doch der sprach:
„Das ist alles nicht so schlimm,
wir buchen für Sie, das ist jetzt „in“,
eine Reise über mein psycho-
touristisches Reisebüro.
Diese letzte Therapie
ist eine Seelensafari
zum Bermuda-Dreieck:
Dann ist alles weg!“