Bayreuth ist auch nicht mehr was es mal war, 1975
Nun nahen neue Wonnen!
Das Festival hat begonnen!
Herr und Frau Schmidt rücken ihre Brillen sich zurecht
und werfen sich in die Sessel wie der Ritter ins Gefecht!
Rasch liest Frau Schmidt ihrem Mann noch aus dem Programmheft vor –
Personen: Parsifal, Lohengrin, Tannhäuser, alle Tenor,
Wolfram von Eschenbach und Wotan, beide Bariton;
ein Wagner-Gesamtdrama, neu inszeniert von Teutsch und Sohn;
Elisabeth, Sopran, alte Besetzung, na, ’n bisschen blass;
Heinrich der Vogler, deutscher Kaiser, Bass.
Als Gäste singen auch Ausländer mit? Na schön und gut,
aber gibt’s denn hier bei uns nicht reichlich talentiertes Blut?
Doch der Gipfel, stell dir vor, die Töchter des Rhein,
Wallgunde und Woglinde, scheinen Japanerinnen zu sein!!!
In weit’ren Rollen treten Handwerker und Bürger auf,
Würzkrämer und Strumpfwirker kommen zu Hauf,
Seifensieder, Landsknechte und Volk sogar!
Ach, Bayreuth ist auch nicht mehr was es mal war!
Es hebt der Vorhang sich. Herr Schmidt beruhigt die Gattin noch geschwind,
dass das Volk ja schließlich bloß die Statisten sind.
In holder Verschwendung verbeugt sich alsdann, tusch – tusch,
am Dirigentenpult Professor Aldo Knitterbusch.
Nun tritt der Kaiser auf, spricht: „Ich hab’ Euch hergerufen heut’,
ihr Minnesänger, Meistersinger, jung gefreit hat nie bayreuth.
Wer das schönste Lied singt, kriegt meine Tochter Elisabeth!
Der Talentschuppen ist eröffnet, es gilt die Wett’!“
Die Sänger treten auf, und wohlgeformte Töne
streifen, Sehnsucht süß entfesselnd, ahnungsvoll die Schöne!
Frau Schmidt flüstert noch schnell: „Was hat die hinter uns im Kopf?
Wagt sich zu Wagner mit einem Mozartzopf!“
Derweil hat ein Unbekannter Elisabeths Neugierde geweckt,
dem stellte sie – „Woher kommst Du?“ – die Frage mit dem Krimi-Effekt.
Er sprach: „Nie hätt’st du mich befragen soll’n, jetzt muss ich fort von hier.
Mein Schwan geht um halb vier!“
Beim Abschied sang er noch: „Du bist mîn, ich bin dîn,
des solt du gewis sîn,
du bist beslozzen in minem Herzen, verlorn ist das slüzzelin,
du muost immer darinne sîn.“
Und Walther von der Vogelweide saß auf einem Stein
und deckte, wie’s sein Image will, Bein mit Bein.
Er sang: „Under der linden an der heiden…“,
doch dies Lied mocht’ Elisabeth nicht leiden!
Er räumte das Feld, und ein Bettelmönch trat auf,
der hatte den „Song von den törichten Jungfrauen“ drauf.
Es folgte mit dem „Rheingold-Hit“ Alberich der Schlappe,
doch man zog ihm mit dem Nibelungenschwert ein’s über die Kappe.
Ein sächsischer Edler sprach zu Elisabeth: „Nu,
singen gann isch nisch, doch viel and’res, drum greif zu!“
Als Frau Schmidt nach ihrem Gatten griff und flüsterte: „Papa!
Ach, Bayreuth ist auch nicht mehr was es mal war!“
Nicht nur, dass sie nun ’n Teil einer Bonbonpackung herauskullern lässt,
Frau Schmidt merkt’s nicht mal und knistert vor Entrüstung mit dem Rest.
Das Parkett, sanft geneigt, nimmt sich der gefall’nen Kugeln an,
wo man das Gesetz der Schwere nun überdeutlich hören kann!
Ein Teil des Publikums jedoch denkt, es wär’
ein surrealistischer Gag vom diesjährigen Regisseur!
Denn da nicht jedes Kügelchen sofort absackt,
bleibt noch was übrig für den zweiten Akt.
Als im Mondschein eine Kapuzengestalt die Lüfte durchmisst,
sich vor Elisabeth niederlässt, schreit Frau Schmidt: „Huch, der Exorzist!“
„Es ist der fliegende Holländer“, hat ihr Gatte klargestellt.
Der war’s aber auch nicht, sondern Tannhäuser, der Held!
Als fahrender Sänger hatte er, dem Heimatland entfernt,
eine entartet fremde Sprache gelernt.
Also sang Tannhäuser: „Hello, Eliza,
call me Tann!“ Das missfiel dem Kaiser!
Außerdem ward all’n beim Vortrag seines Liedes klar,
dass Tannhäuser hoffnungslos heiser war!
Erkältet habe er sich im verruchten Venusberg, gestand er zögernd ein.
Der Kaiser sprach: Was du da wagnerst, wirst du bereu’n!“
Doch flehend rief Elisabeth: „Oh Vater schone ihn,
denn ich kann nicht ohne ihn…!“
„Gut“, sprach der Kaiser, „ich geb’ ihm eine Frist.
Er komme wieder, wenn er nicht mehr heiser ist!“
Und im Finale ist Tannhäuser dann nicht mehr indisponiert,
denn Elisabeth hat ihn mit Brustwickeln kuriert!
Geläutert singen nun er und Elisabeth
mit des Kaiser’s Segen, klar und rein, das Happy-End-Duett.
Und noch bevor der Vorhang fällt, hat sie ihn unverwandt
angeblickt und zärtlich „Mein Tannemann!“ genannt.
Was die beiden alsdann taten…
mögen Wagner-Kenner raten!
Etwas später, im Hotel, sagt zu ihrem Mann Frau Schmidt:
„Ach, von Wagner nimmt man immer etwas mit!“
Und während warme Wagner-Wonnen in ihrem Innern wallen,
findet sie an ihrem Mann wehmütig-wildes Gefallen…
„Weißt du noch, Wolfhard, als wir hier vor 35 Jahr’n
anlässlich uns’rer Hochzeitsreise „Die Götterdämmerung“ sah’n…!“
Doch sie hält inne – nimmt ihren matten Gatten wahr…
„Ach, Bayreuth ist auch nicht mehr was es mal war!“