Wie sieht es denn hier aus, 1975
An einem Sonntagnachmittag, als ich nichts Böses ahnte,
da klingelt’s Sturm und draußen stehen liebe Anverwandte:
„Als freudige Überraschung
nur mal reinschau’n wollten wir!
Ganz auf die Schnelle, auf’n Sprung –
und … nun sind wir hier!“
Die Tante blickte daraufhin – und wurde zusehends stumm –
sich ungemein erschrocken in mein’ vier Wänden um:
„Wo sind die Rüschen? Der Brokat?
Der Schmuck? Die Perser? Der Glanz?
Hier ist ja alles so fad,
ohne Brillanz und Eleganz!
so kahl…
Mein Gott, wie sieht es denn hier aus!!
Sag’, ist das wirklich dein Zuhaus??“
Und aus der Tante Stimme klang die Erschütterung:
„Kinder, hier fehlt ja noch die Hälfte von der Einrichtung!
Da ist ja überall noch jede Menge Platz!!
Für’n Schränkchen oder ’n Gummibaum mit Untersatz.
Die spärlichen Bilder wirken wie dämonische Fratzen!!
Und die Sessel sind wie doppelte Matratzen!!
Na guck’ sich das mal einer an, wie ein Mensch hier leben kann!!?
Doch, es gibt nichts, was nicht zu ändern wär’,
wir hab’n dir was Schönes mitgebracht“,
woraufhin der Onkel ein Rechteck mit Bedacht
von seiner Hülle befreite
und ausrief: „Das ist wahre Kunst!“
Mir war nach Essig – ich sah in Öl
„Rotwild in der Brunst“.
Benommen hörte ich den Onkel sagen in herzlichem Ton:
„Ich häng’ es dir gleich an die Wand – zur Inspiration!
Den Rahmen – echt Renaissance –
hab’ ich – er war vorher so braun –
frisch gestrichen mit Goldbronze,
und das putzt den ganzen Raum!
denn…
Mein Gott, wie sieht es denn hier aus!!
Das ist doch wirklich kein Zuhaus!!
Außerdem hängt hier noch viel zu wenig an der Wand!
Zu Ostern kriegst du Dürers „Betende Hand“.
Wie hinter dieser Plastik-Streifen-Gardine gemütlich sitzen??
Hier guckt doch sicher ständig jemand durch die Ritzen!
Und diese Stehlampe! Wie ’ne Haube vom Frisör!“
Die wahre Kultur beginnt beim Interieur!!“
Also sprach die Tante: „Es ist nun mal wie’s ist:
Zeig mir dein Mobiliar, und ich zeig dir WER du bist!
Den ersten Schritt zum WER hast du ja nun getan
mit unsrem Ölbild, drum schau dir’s täglich an!“
Wenn ich das alles so im Nachhinein bedenk’,
dann war das Ölbild ein sehr löbliches Geschenk,
hat es mich doch zu diesem Lied inspiriert,
bevor es nun im Keller Kultur repräsentiert!